Mich persönlich interessiert zurzeit bei all der Kunst, die ich sehe, zuerst der Inhalt und dessen Aussage. Ich mag nicht, wenn man mir die Welt dekonstruiert, um mich dann mit den Einzelteilen sitzen zu lassen. Frei nach dem Motto: Da, so kaputt ist das, aber wie es wieder zusammengeht, dass finde selbst heraus. Ja, ich wünsche mir eine Haltung von der Kunst die ich sehe.
In dem Zusammenhang war der Besuch bei Flip im Chamäleon ein Wagnis. Aber die Presseabteilung lud mich ein (zum 2. Mal) und so ging ich mit meiner besseren Hälfte, um „atemberaubende Akrobatik und neue Artistik“ zu sehen. Und ja, Flip hat auch eine Geschichte: „Sechs Freunde, ein letzter Sommertag, der Abschied fällt schwer auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Doch wie viel freudiger ist das Wiedersehen nach Jahren – so leicht und beschwingt, als wäre kein Tag des Getrenntseins vergangen.“
http://chamaeleonberlin.de/video/flip/html5
FLiP ab März im Chamäleon
Ich muss sagen, den Sommertag und die Jugend habe ich gesehen, der Rest erschloss sich mir nicht. Aber fast möchte ich sagen, dass es egal war. Denn die Artistik der kanadischen Truppe Flip FabriQue war hinreißend und spielerisch. Manche akrobatischen Figuren hatte ich schon waghalsiger gesehen, da fiel ein Ball herunter oder dort verhedderte sich ein Fuß in einem Seil. Doch es kümmerte mich nicht, weil eine Spielfreude auf der Bühne herrschte, die den gesamten Saal in Bann zog. Diese Akrobaten wollten springen, klettern und toben. Ihr Bühnenbild, eine rötliche Wand war mit fenstergroßen Durchlässen versehen, die sie zu allerlei Spiel nutzten.
Das Chamäleon spricht selbst davon, dass alles „mit einem Augenzwinkern“ in Szene gesetzt sei. Und das hat für mich den Abend ausgemacht. Hier wurde nicht nach einer Ästhetik geschielt, die so oft unter den einzelnen Interessen der großen Akrobaten leiden muss, damit jeder seine Nummer und sein Das-kann-nur-ich-Solo abziehen kann. Selbstverständlich zerfiel FLIP auch in Einzelnummern, aber die Regie verstand es weitgehend hervorragend, die anderen Akrobaten in die Nummern einzubinden. Wunderbar zum Beispiel die Beleuchtung eines Jojo-Solos mit LED-Taschenlampen durch die Kollegen. Aber wirklich unterhaltsam waren die gemeinsamen und nicht so weltneuheitlichen Aktionen, wie das Langseilspringen oder das Medizinballjonglieren.
Diese Leichtigkeit, die im Zusammenspiel bei Flip zu sehen war, vermisse ich oft im sogenannten neuen Zirkus. Hier werden angeblich nicht einfach Nummern aneinander gereiht, sondern „Geschichten“ erzählt. Doch nur irgendeine Geschichte reicht einfach nicht – zumindest nicht für mich. Wenn soll sie mir auch etwas sagen. Wir waren nun vergangenen Montag ebenfalls im Chamäleon und sahen Tangram, die Verbindung von Jonglage und Balett. Versprochen wurde hier eine Paarbeziehung, bei der wir dramaturgisch letztlich „nur“ dem Auf und Ab zwischen Anziehung und Streit beiwohnen durften. Bitte, man verstehe mich nicht falsch, es waren zwei großartige, wenn nicht gar Weltklasse Artisten, aber die Story war belanglos. Keine Erkenntnis, keine Aussage, aber ein gekünselter Ernst. Oder soll es eine Brechung sein, wenn im akrobatischen Streit der Herzen, die Tänzerin ihr Lächeln nicht abzulegen vermag?
Ich will nicht sagen, dass mit Akrobatik und Zirkus keine Geschichten erzählt werden sollten, aber wenn sie nur der dünne Kitt zwischen den Nummern ist, dann lieber ein Ansager. Ich warte auf die Produktion, wo die Akrobatik nur der Handlung dient und somit wirklich zu einem neuen Ausdrucksmittel in der Bühnensprache wird.
Und bis es soweit ist, lasse ich mich lieber von der guten FLIP-Laune begeistern.
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