C!RCA’S PEEPSHOW – zwei Seiten einer Medaille.

Wie schreibe ich über diesen wunderbaren Abend, den ich mit anderen BloggerInnen am 8. September 2018 im Chamäleon erleben durfte? Da die Show in zwei Hälften geteilt war, die zwei Seiten einer Medaille abbilden sollten, werde ich diese Kritik ebenfalls zweiteilen. Es hat immerhin einen Monat gedauert, aber nun habe ich den Artikel fertig!

Geht hin und genießt diese PEEPSHOW!

chamaeleon_berlin_CIRCA'S PEEPSHOWDas Chamäleon in Berlin steht seit Jahren als Garant für hochwertigen Neuen Zirkus. Mit C!RCA gastiert nun zum wiederholten Male eine Truppe auf dieser Berliner Bühne, die immer hohe Qualität in der Akrobatik und feine Unterhaltung in der Inszenierung zu bieten weiß.

Von Anfang an wirkte in dieser Show das Ensemble als eine Einheit und bewegte sich in gemeinsamen Einklang. Selbstverständlich beherrscht jede/r der Künstler/innen eine akrobatische Disziplin etwas besser als die anderen und bekam auch Zeit z.B. am Tuch oder mit den Hula-Hoops für ein Solo eingeräumt. Jedoch zerfiel (wie so oft) dadurch der Abend nicht in Nummern, da es die künstlerische Leitung von Yaron Lifschitz verstand die einzelnen Fähigkeiten der Akrobat*innen phantasievoll zu verbinden. Der Schritt zu einer modernen Tanzinszenierung ist nicht mehr weit.

Wer fragt, dem soll man antworten.

Die Show stellt sich inhaltlich im Ankündigungstext folgende Fragen: Wie sehen wir? Was bedeutet es, beobachtet zu werden? Wie verändert, beobachtet zu werden, das Geschehen? Als Zuschauer sitzt man auf seinem Stuhl und betrachtet mit einer frivolen Mischung aus Neid und Neugier die durchtrainierten Körper in knapper Bekleidung. Da ist sofort dieses Gefühl der Peepshow, in der man als Voyeur dem Spiel nackter Körper zusieht. Das ist erotisch, das ist heiß und fühlt sich nach Großstadt und Abenteuer an – besonders, wenn man ganz nah an der Bühne sitzt.

Der erste Teil des Abends feiert das Spiel mit Körper und Nacktheit. Es fallen immer wieder Hüllen und mit Humor wird das Publikum mittels Comic Relief aus so mancher Spannung entlassen. Das alles vor dem Halbrund eines Glitzerfadenvorhanges der die Spiegelbühne einer Peepshow zitiert.

Nach der Pause ist dieser Vorhang verschwunden. Die Bühne ist dunkler und die bisher knallige Musik einige Klangfarben düsterer. Die Glitzerkostüme sind zusammengewürfelten Klamotten gewichen und die Akrobaten, die eben noch ihre Körper und deren Erotik feierten, scheinen nun sich fast die Haut vom Körper reißen und die Gelenke auskugeln zu wollen. Düster, aber in keinster Weise schlechter, werden wir mit einem weiteren körperlichen Kraftakt aus dieser Show entlassen und man fühlt sich fast genauso verschwitzt wie diese großartigen AkrobatInnen.

Hier lautet das Fazit: Sehenswert und fulminant!

PEEPSHOW – Verletze Würde und Abscheu

Doch alles hat zwei Seiten… Sicher tue ich diesem Abend Unrecht an, wenn ich nun den Gradmesser des Theaterkritikers anlege und mich an eine Interpretation wage – aber alles hat zwei Seiten.

Die Fragen waren: Wie sehen wir? Was bedeutet es, beobachtet zu werden? Wie verändert, beobachtet zu werden, das Geschehen? Und die Antwort war diese Peepshow. In der ersten Hälfte hatten wir also Geld „eingeworfen“ und die Darsteller*Innen wussten, sie werden beobachtet. Also boten sie uns eine Show. Sie strippten, veralberten uns und verführten uns mit ihren reizvollen Körpern. Als Zuschauer waren wir schnell gefangen und unsere Blicke wurden bewusst dahin gelenkt, wo es die unglaublichen Türme aus Menschen oder die unfassbare Verbiegung einer Wirbelsäule zu sehen gab. Sie hatten Macht über uns, weil wir sie beobachteten und sie es wussten. Sie posierten für uns und wir hatten Mühe die Körperspannung in unseren Unterkiefern zu halten.

chamaeleon_berlin_CIRCA'S PEEPSHOW

Dann änderte sich das Bild. Der Vorhang öffnete sich nach der Pause, aber die Show war vorbei. Was wir sahen, war ungebrochen höchst akrobatisch, aber das Feuerwerk der großen Bühne war verraucht. Wir sahen die Akrobaten in der Vor- und Nachbereitung ihres Auftritts und sie schienen mit ihren Körpern unzufrieden. Wollten sie darstellen, dass sie ihre Kunst nur zeigen können, so lange sie jung und gesund sind? Man sah Menschen, die sich in ihrer Haut unwohl, gar dreckig zu fühlen schienen. Hatten wir sie beschmutzt, hatten unsere Blicke sie missbraucht? Waren wir zu unbekümmert mit ihrer privaten Sphäre umgegangen? Vielleicht ja.

Die Show gab uns keine Antwort darauf. Nicht hinzusehen, wäre das Ende dieser Show und widerspräche der performativen Kunst. Oder war die Antwort auf die Frage: ‚Wie verändert, beobachtet zu werden, das Geschehen?‘, dass die Beobachteten nun litten, da sie niemand mehr betrachtete?

Seit 1982 gelten in Deutschland Peepshows laut Bundesverwaltungsgericht wider die „guten Sitten“ und als Verletzung der Würde der Frau (siehe Wikipedia). Somit verschwanden nach diesem Urteil die Shows in der Bundesrepublik, begleitet von Protesten der betroffenen Frauen, die um ihre Arbeitsplätze kämpften. Kann man in einer Peepshow arbeiten und das nur als Arbeit begreifen?

Für mich bleibt nach C!RCAS PEEPSHOW die Frage stehen: Fühlten sich die Dargestellten bedeutungslos oder ausgenutzt? Darauf hätte ich doch zu gerne die Antwort dieser herausragenden Künstler gehört.

Aber geht hin und findet die Antwort für Euch.

C!RCAS PEEPSHOW noch bis 17. Februar 2019 im Chamäleon: chamaeleonberlin.com

Ein Gedanke zu „C!RCA’S PEEPSHOW – zwei Seiten einer Medaille.

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