Das Theater am Rand – wo Kunst nicht Beilage ist

Am vergangen Sonntag hatte ich das Vergnügen mit meiner lieben Kollegin Sonja Dif vom Theater ohne Probe bei einer Veranstaltung im Theater am Rand zu spielen. Dieses Kleinode der Kultur liegt direkt an der Oder in der kleinen Siedlung Zollbrücke. Eine Brücke gibt es schon lang nicht mehr, weshalb der geneigte Besucher schon weit vor seinem Ziel mit einem Einbahnstraßenschild begrüßt wird.

Uns hielt dieses Einbahnstraßenschild nicht auf. Wir fuhren trotz frisch gefallenem Schnee unvertrossen weiter und erreichten das Theater am Rand, das zurzeit von außen einer abgedeckten Baustelle gleicht. Denn das Theater wird umgebaut und befindet sich in Errichtung. Die Bühne existiert momentan nur als Bodenplatte und von der Kuppel noch keine Spur. Aber Platz ist in der kleinsten Hütte und Theater läßt sich überall spielen. So wurde vor die zwei überdachten Ränge ins Parkett eine schmale Bühne gestellt, eine riesige Bauplane als Rückwand, die vorm eisigen Winter Schutz bot.

Jedoch war nicht nur das Theater Baustelle, sondern auch die Veranstaltung, zu der wir angereist, war frisch aus der Werkbank gefallen. Das Premierenkind hatte den Name „BRandreden“ bekommen. Eine Veranstaltungsreihe, in der die Menschen der Region, die Oderbrücher aufs Podium steigen und ihre Meinung laut aussprechen sollen. Die Gründer des Theaters Tobias Morgenstern und Thomas Rühmann sind sich offenbar einig, dass Theater immer auch politisch ist und ein Platz zum Austausch bieten soll. Demokratie im besten Sinne einer Kultur des Redens und Streitens. Und wir mitten drin. Wunderbar.

Das Thema, dass den Menschen brandheiß auf Herz und Zunge lag, war die Energiegewinnung im Oderbruch. Mehr oder weniger Windparks? Wo sollten die Biogasanlagen stehen? Was können die Bürger mitbestimmen und bekommen sie ab vom Gewinn oder tragen sie die Kosten, weil der gute Ackerboden versiegelt und die Touristen vertrieben werden? Trotz schlechtestem Wetter hatte es eine beachtliche Anzahl an Oderbrüchern ins Theater geschafft und sie waren heiß zu reden.

Wozu nun aber die Kunst? Die Leute wollen doch sprechen? Und nur weil es in einem Theater stattfindet, muss auch noch die Kultureinlage sein? Etwas Kunst zwischen die Sorgen streuen, als Druckventil für all zu erhitzte Gemüter?

Im Gegenteil, denn schon Tobias Morgenstern, begabter Musiker an Arkordeon und Reim, stimmte auf die BRandreden mit einer Art Moritatgesang ein: „Nichts bleibt geheim!“ Die Kampfansage war gemacht. Dann ging ein Experte für erneuerbare Energien und bürgerbeteiligte Energieversorgung auf die Bühne und gab Einblick in die Komplexität des Themas – Gesetze, Kapital, Behörden und die Menschen mit ihren Ängsten, Sorgen und Hoffnungen.

Und dann Impro? Was sollten wir dazwischen? Die Menschen aufwärmen – von den Temperaturen her sicher absolut notwendig, von den Gemütern her nicht. Zumal auch der Landrat anwesend war, an den so mancher sein Wort richten wollte. Aber gut, rauf auf die Bühne und rein in den Ring. Zuerst klar machen, dass wir auch keine kulturelle Sättigungsbeilage sind, sondern über Kommunikation und Akzeptieren sprechen und versuchen die Menschen im Raum zu öffnen.

Die Anmoderation ist noch ein Suchen – es wurde schon viel gesprochen – und dann sollen die Leute mitmachen. Nur eine kleine Übung. Erstes Lachen, das Eis ist gebrochen. Dann werden Namen ausgetauscht, gerufen und die Stimmung taut auf. Wir spielen zwei Szenen – in der zweiten muss sich Ministerpräsident Platzek bei einer Windraderöffnung die bohrenden Fragen einer Bürgerin gefallen lassen – die Zuschauer dürfen Begriffe hereinrufen und sie sind alle zur Sache, keiner um uns herauszufordern. Wir räumen die Bühne, den Anwesenden brennt das Thema mit all den Sorgen noch immer unter den Nägeln, aber nun wurde wenigstens schon darüber gelacht. Es folgen noch über eineinhalb Stunden Reden und Diskussion. In einem Theater, wo Kunst nicht Beilage sondern Werkzeug und Lösung ist.

Wir aßen anschließend und dankbar die kräftige Kartoffelsuppe und schlitterten dann langsam wieder zurück nach Berlin. Ein guter Sonntag, lebendige Demokratie mitten am Rand.

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